Kooperation und Konflikt - Potenziale der untrennbaren Geschwister entwickeln

Februar 14

Notiz 19

Eine "Notiz" von Rolf Berker

Kooperation wird immer wichtiger. Doch wie begegnet man den typischen Konflikten, die eine Zusammenarbeit oft schwer machen? Eine kurze Zusammenfassung zu psychologischen Konzepten, die soziale Konflikte verständlicher und leichter lösbar machen.

Kooperation als Entscheidungsproblem

Kooperativ handeln – für einen gemeinsamen Nutzen – kann riskant sein: Andere können die Situation zum eigenen Vorteil ausnutzen. Nichtkooperatives Verhalten führt jedoch beim nächsten Kontakt beim anderen sehr wahrscheinlich ebenso zu nichtkooperativen Reaktionen, sodass dann beiden Seiten die Vorteile einer Kooperation entgehen. Dieses Dilemma bildet das Gefangenendilemma ab. Umfangreiche Computer-Turniere ergaben für diese Konfliktsituation, dass die TIT–FOR–TAT–Strategie zu den besten Ergebnissen und am ehesten zu Kooperation führt. Sie lautet:
1. Beginne freundlich!
2. Reagiere wie Gegner in der letzten Runde! (alle weiteren Begegnungen)

Viele Konfliktsituationen entsprechen von ihrer Entscheidungslogik her dem Gefangenendilemma und wurden umfangreich anhand dieses Modells untersucht.

  • Rüstungswettlauf: Wer Abrüstungsvereinbarungen heimlich unterläuft, gewinnt zunächst einen Vorsprung. Aber Rüstungsbegrenzungen, die eingehalten werden, bringen allen Beteiligten den größten Nutzen. 
  • Erdöl-Kartell: Förderländer vereinbaren Fördergrenzen und könnten von einem höheren Preisniveau profitieren. 
  • Handelsschranken: Der Abbau von Handelsbarrieren zwischen zwei Industriestaaten würde langfristig beiden Volkswirtschaften nützen. Wer jedoch einseitig den ersten Schritt macht, riskiert wirtschaftliche Nachteile.
Zusammenarbeit lebt von
einer guten Beziehung

Axelrod (1997, S. 26) fasst zusammen, „dass viele der am besten entwickelten Modelle wesentlicher politischer, sozialer und ökonomischer Prozesse auf dem Gefangenendilemma aufbauen“. Der Autor beschreibt am Beispiel heimlicher Waffenruhe im deutsch-französischen Stellungskrieg während des ersten Weltkriegs, wie Kooperation nach der Logik des Gefangenendilemmas auch unter unwahrscheinlichen Bedingungen und ohne soziale Bindung, Voraussicht, Absprachen usw. entstehen kann, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieselbe Situation mit dem Kontrahenten wiederholen wird, groß ist. Er überträgt dieses Erklärungsmodell der Kooperation bei Pflanzen und Tieren, beispielsweise um die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Symbiose statt Parasitismus zu erklären. Evolutionsbiologisch kann damit letztlich auch altruistisches Verhalten – also Verhalten gegen individuelle Interesse zum Nutzen der eigenen Familie, Art oder Gene – erklärt werden.

Die Dyade: Vorteile und Konfliktpotenziale von Kooperation

Die älteste Form der Kooperation bei Menschen ist wahrscheinlich die Paarbeziehung zwischen Mann und Frau bzw. Vater und Mutter. An ihr lassen sich die zentralen Merkmale und Vorteile von Kooperation gut veranschaulichen:

Unterschiedlichkeit

Der Siegeszug der sexuellen Vermehrung – alle höher entwickelten Lebewesen sind zweigeschlechtlich – beruht auf den Entwicklungspotenzialen, die sich aus der Kombination zweier unterschiedlicher Sätze von Erbanlagen ergeben. Entsprechend erlaubt die Zusammenarbeit von zwei unterschiedlichen Menschen vielfältige Lösungsmöglichkeiten für die Probleme des (Über-)Lebens. Die Unterschiede bedeuten immer auch Spannung und Gegensätze, die bei konstruktiver Bewältigung wertvolle Entwicklungsimpulse bieten. Doch fördert unsere Angst vor der Spannung und vor den Gefahren eskalierender Konflikte vielfältige Strategien zur Konfliktvermeidung. Kooperation bedeutet immer auch Anpassung, Einschränkung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Der elementare Konflikt zwischen Autonomie und Anpassung führt zu einem Paradoxon:

  • Passt sich ein Partner sehr weitgehend an den anderen an, geht zunehmend die Unterschiedlichkeit als Vorbedingung fruchtbarer Kooperation verloren (und auf der Ebene des Erlebens meist auch der Respekt des anderen und die Attraktivität für den anderen).
  • Zu große Autonomie macht Kooperation immer schwieriger und anstrengender und gefährdet die Beziehung. Heftige Konflikte zwischen zwei Menschen mit gemeinsamer Vergangenheit und Zukunft berühren immer auch das Bedürfnis nach erlebter Autonomie – und die Angst, dass durch den Konflikt die Beziehung Schaden nimmt. In Mediationen erlebe ich häufig den entscheidenden Wendepunkt, wenn die Betroffenen ihre Gefühle und Wünsche konsequent offen und ehrlich ausdrücken können. In diesem Moment spüren sie ihre Autonomie besonders intensiv. Und von diesem Moment an fällt es ihnen leicht, gemeinsamen Lösungen zuzustimmen – sie gelangen in das „Land der leichten Lösungen“, wie es der Psychologe Christoph Thomann ausdrückt. Ein offen und konstruktiv ausgetragener Konflikt führt zu einer neuen Synthese von Autonomie und Anpassung. Die Partner gewinnen gegenseitigen Respekt und Verbundenheit dazu, die Beziehung wird gestärkt und belebt.

Arbeitsteilung

Schon im Zweierteam kann Arbeitsteilung durch Rationalisierung und Spezialisierung enorme Vorteile bringen:

Die Bäuerin konzentriert sich auf Haushalt und Kinder, der Bauer auf Feldarbeit und Tiere. Beide profitieren von der Entlastung, der Konzentration der Aufmerksamkeit, der gesammelten Erfahrung und der raschen und souveränen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Voraussetzung ist Einigkeit über Zuständigkeiten, Ziele, Regeln und so weiter. Der lange vorherrschende Lösungsweg für die damit einhergehenden Entscheidungskonflikte war das Patriarchat. Der Mann schafft an – mehr dazu unter dem Stichwort „Hierarchie-Dilemma“ auf Seite 4.

Bei zu großer Anpassung
an den Partner geht die
Attraktivität verloren

Mehrhirndenken

Das Lösen von Problemen durch Austausch mit anderen bietet wichtige Vorteile gegenüber der rein innerseelischen Reflektion Einzelner:

  • ein breiter Genpool an Wissen und Perspektiven stimuliert vielfältige und kreative Ansätze und Lösungen 
  • das Mitteilen zwingt zur Reformulierung und Verdichtung der eigenen Gedanken, zur Auswahl von Prioritäten 
  • kommunikativer Austausch schützt vor dem Vergessen
  • die Realisierung von Ideen ist wahrscheinlicher, gemeinsam traut man sich auch an schwierige Herausforderungen

Der große Vorteil von Zweierteams gegenüber größeren Gruppen besteht in der Überschaubarkeit und dem geringeren Aufwand für die Abstimmung. Beispielsweise gibt es viele erfolgreiche Firmengründungen durch zwei Partner. Auch die biologische Evolution hat auf eine Fortpflanzung mit mehr als zwei Geschlechtspartnern verzichtet.

Der Austausch im Team sollte alle einbeziehen
– aber Probleme lösen statt neue zu schaffen

Das Team: Koordinierung von Kooperation

Mit der Anzahl der kooperierenden Gruppenmitglieder wächst die Vielfalt an Ressourcen, Wissen und Kreativität, aber auch der Aufwand für die Koordinierung und die Herausforderung, alle Beteiligten für gemeinsame Ziele zu motivieren. Zum letzteren Problem bieten Studien zur sogenannten Allmende-Klemme interessante Anregungen. Sie stellt eine Weiterentwicklung des Gefangenendilemmas insbesondere für die Nutzung ökologischer Ressourcen dar und wird deshalb auch „ökologischsoziales Dilemma“ genannt: Mehrere Akteure nutzen ein gemeinsames Gut, dessen Belastbarkeit aber zunächst unbekannt ist, beispielsweise mehrere Fischer, die vom Fischbestand in einem großen See leben. Für jeden besteht die Versuchung, das gemeinsame Gut zum eigenen, kurzfristigen Vorteil zu übernutzen. Ein langfristiger gemeinsamer Nutzen ist nur möglich in einer vertrauensvollen Kooperation, in der jeder auf kurzfristige Vorteile verzichtet und gemeinsam die Belastbarkeit des Gutes ausgelotet werden kann. In Erweiterung des Gefangenendilemmas umfasst dieses Modell auch das Problem der Komplexität und schwierigen Vorhersagbarkeit von Handlungsfolgen und die Notwendigkeit zur kollektiven Bewältigung dieses Problems. Diese psychologische Grundstruktur verbindet typische ökologische Problemstellungen, wie Luft- oder Wasserverschmutzung, Landverbrauch, Nutzung fossiler Energieträger und endlicher Rohstoffe, Klimaschutz und viele andere. Sie wurde als Fischereikonflikt- Spiel experimentell untersucht. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass kooperatives Verhalten dann wahrscheinlicher ist, wenn überschaubare soziale Einheiten, persönlicher Kontakt und gute Kommunikationstrukturen ...

  • die Ausbildung von gemeinsamen Zielen, gegenseitigem Vertrauen, Offenheit und persönlicher Verpflichtung fördern, 
  • ausreichendes Wissen zum konkreten Problem vorhanden ist und 
  • eine für Experimente offene Atmosphäre und 
  • die Transparenz der Effekte des eigenen Handelns

... Lern- und Optimierungsmöglichkeiten schaffen.

Die Allmende-Klemme ist in der Regel auch auf zentrale Aspekte von Teamarbeit übertragbar:

  • Durch das gemeinsame Engagement entsteht ein gemeinsamer Nutzen, von dem jeder im Team profitiert – wer keinen angemessenen Beitrag leistet, missbraucht die Gemeinschaft oder gefährdet sogar den gemeinsamen Erfolg.
  • Die Teammitglieder werden sich daher nur engagieren, wenn Vertrauen in die Gruppe, in Fairness und Gerechtigkeit der Beiträge der anderen besteht. 
  • Die Zusammenarbeit ist oft mühsam und konflikthaft, zur Sacharbeit kommt noch Beziehungsarbeit, die mit der Anzahl der Gruppenmitglieder potenziell zunimmt, und der erhoffte Nutzen der Kooperation ist oft unsicher oder unvorhersehbar.

Vertrauen ist eine Voraussetzung für effektive Teamarbeit, gute Koordination der Teamarbeit ist eine weitere. „Gemeinsam sind wir blöd!?“ ist der Titel von einem Buch von F. B. Simon über kollektive Intelligenz. Ein Team kann weniger „intelligent“ als seine Mitglieder oder deutlich leistungsfähiger als „die Summe seiner Teile“ sein, wenn durch gute Kommunikation und eine gelungene Koordination das vielfältige Wissen der Gruppe und die Vorteile des Mehrhirndenkens genutzt werden können. Doch wer koordinierte die Zusammenarbeit im Team? Jede Gruppe steht vor dem „Hierarchie- Dilemma“:

  • Selbstorganisation von Gleichberechtigten kostet Zeit und Energie und ist riskant. 
  • Führung schafft Machtunterschiede, die das Engagement und die Kreativität der Teammitglieder gefährden. Einsame Entscheidungen des Führers nutzen zudem nicht das kollektive Wissen in der Gruppe.

Prozessverantwortung

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist die Trennung von Prozess und Inhalt: Ein Prozessverantwortlicher (Moderator, Projektleiter usw.) sorgt für ein gutes Arbeitsklima, konkrete, gemeinsam getragene Ziele und eine effektive Zusammenarbeit, die sich an diesen Zielen orientiert. Er braucht das Vertrauen der Gruppe, dass er sich ausschließlich für die Ziele der Gruppe engagiert, also idealerweise durch keine eigenen kollidierenden Interessen und keine Rollenkonflikte belastet ist. Die gängige Praxis, der Vorgesetzte moderiert die Teamsitzung, ist daher für anspruchsvolle Teamaufgaben kontraproduktiv. Im moderierten Team bleiben die gleichberechtigten Mitglieder verantwortlich für die Inhalte.

Die Studien zur Allmende-Klemme zeigen, dass bei unklaren Zielen und unüberschaubaren, komplexen Themen das gegenseitige Vertrauen einerseits und die Arbeitsfähigkeit eines Teams andererseits sich wechselseitig stark beeinflussen – im Guten wie im Schlechten!

Nach unseren Erfahrungen können bei komplexen Problemstellungen durch eine professionelle Moderation von Verhandlungen, Entscheidungsgremien, Gruppen und Teams enorme Potenziale freigesetzt werden. Neben der inhaltlichen Effektivität der Gruppenleistung entsteht dabei zudem oft auch eine vertrauensvolle, konstruktive und – ein typisches Signal guter Arbeitsfähigkeit einer Gruppe – eine humorvolle, fröhliche Atmosphäre.

Herzlichst, Ihr
Rolf Berker


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