Die Moderation von Großgruppen

Februar 14

Notiz 10

Eine "Notiz" von Josef W. Seifert

Moderation ist ein mächtiges, anerkanntes Werkzeug, wenn es um die Gestaltung von Besprechungen, Projektmeetings, Workshops, ... kurz Gruppengesprächen geht. Aber was tun, wenn es erforderlich ist, mit einer Großgruppe zu arbeiten?

Eine Veranstaltung mit (mehreren) hundert Menschen kann man ja nun nicht gerade als „Gruppengespräch“ bezeichnen – oder doch? Diese Notiz gibt Auskunft darüber, was Arbeit mit großen Gruppen mit Moderation zu tun hat ... und worauf es dabei ankommt.

Großgruppen - wozu eigentlich?

Der globale Wettbewerb erzeugt Druck. Organisationen müssen effektiver, flexibler und kundenorientierter werden. Immer häufiger geht es in diesem Zusammenhang darum, die Organisation neu auszurichten, in kürzester Zeit „etwas zu bewegen“. Es soll „ein Ruck“ durch die Organisation gehen. Es muss „ein neuer Anfang“ gemacht werden, der Ruf nach „Change Management“ oder nach „schnellem Wandel“ wird laut ...

Ein neuer Anfang kann bei der Entwicklung einer Zukunftsvision beginnen, aber auch dabei, eine bereits erdachte Vision in die Organisation hineinzutragen. Es kann bedeuten, strategische Zielsetzungen transparent und verstehbar zu machen oder Optimierungspotenziale auf breiter Front aufzugreifen ... All das kann nicht durch „einsame Beschlüsse“ erreicht werden. Es kann nur gelingen, indem möglichst viele in den Prozess einbezogen werden, indem die Betroffenen als Beteiligte mitgestalten und so zum Veränderungsmotor werden!

Um dies in möglichst kurzer Zeit zu erreichen, sind moderierte „Großgruppen-Konferenzen“ ein geeignetes Werkzeug. Die Idee ist dabei die, dass die Versammlung (möglichst) aller Mitglieder einer Organisation oder Organisationseinheit eine emotionale Dimension hat, die anders nicht zu erreichen ist. Der viel strapazierte Spruch: „Wir sitzen alle in einem Boot“ wird erlebbar, ein reales Wir-Gefühl kann entstehen. Zudem ist es in diesem Rahmen möglich, allen Mitarbeitern zeitgleich etwas mitzuteilen und mit allen an dem Thema / den Themen zu arbeiten, die im Brennpunkt des Interesses stehen. Damit ein derartiger Prozess gelingt, muss dieser sehr genau geplant und sehr professionell durchgeführt werden. Die Gestaltung eines derartigen Veränderungsprozesses bedarf daher eines erfahrenen Prozessberaters oder „BusinessModerators“ wie wir sagen (vgl. MODERATIO®-Notiz 7). Das Arbeiten mit (sehr) großen Gruppen ist in der Moderation nichts Neues. Trotzdem wird diese spezielle Form des Moderierens immer wieder neu durchdacht und thematisiert und es werden Standardabläufe empfohlen. Die bekanntesten Ansätze sind hierzu sicherlich die Future Search Konferenz (nach Marvin Weisbord), die RTSC-Konferenz (nach Kathleen Dannemiller) und die Open Space Konferenz (nach Harrison Owen).

Hierzu im Folgenden ein kurzer Überblick.


Future Search Konferenz / Zukunftskonferenz

  • Sinn & Zweck: Bei einer Zukunftskonferenz geht es frei nach Kant darum, die Fragen zu beantworten: „Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was sollen wir tun?“ Oder anders ausgedrückt darum, nach einem Blick zurück, die für die Teilnehmer im Rahmen ihres Themas relevanten Zukunftstrends zu finden bzw. zu benennen, Zukunftsvisionen zu entwickeln und Maßnahmen zu generieren, die den Beteiligten geeignet erscheinen, die gemeinsame Zukunft optimal zu bewältigen. Dabei kann es um die Langfristziele einer Region oder Kommune gehen oder um die Neuausrichtung einer Organisation oder eines Ressorts ...

  • Teilnehmer: Die Teilnehmerzahl liegt im „klassischen“ Fall bei 72 Teilnehmern. Dies entspricht 9 Tischen, an denen jeweils 8 Teilnehmer sitzen. Angestrebt ist es, einen „Querschnitt der Organisation“ über Ressortgrenzen und Hierarchieebenen hinweg abzubilden. Häufig werden auch Partner, wie Lieferanten und Kunden, einbezogen.

  • Dauer / Zeitbedarf: Eine Future Search Veranstaltung dauert in der Regel 2 – 3 Tage.

  • Ablauf: Die Teilnehmer vergegenwärtigen sich nach der Eröffnung zunächst, woher sie kommen: „Was habe ich auf dem gemeinsamen Weg erlebt?“ Sie sammeln dann in einem zweiten Schritt das, was heute ist. Dazu gehört einerseits das Benennen dessen, worauf man stolz ist, und dessen, was man bedauert: „Prouds and Sorries“. Andererseits gehört dazu auch das Zusammentragen der Zukunftstrends, die aus Sicht der Gruppe für die gemeinsame Zukunft Relevanz haben werden. Im Weiteren werden in Kleingruppen Zukunftsbilder erarbeitet und in „Miniinszenierungen“ ausgetauscht, die letztlich zu Maßnahmen führen, die den Beteiligten geeignet erscheinen, die gemeinsame Zukunft optimal zu bewältigen.

  • Besonderheit/-en: Die Teilnehmer sitzen an 8er- Tischen ggf. zunächst in gemischten und später in homogenen Gruppen zusammen. Können nicht alle Betroffenen teilnehmen, soll die Gruppe ein „repräsentativer Querschnitt“ der Betroffenen sein.


Konferenz des Wandels / Real Time Strategic Change (RTSC)

  • Sinn & Zweck: Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein Gestaltungsvorschlag zur Großgruppen-Moderation, der dafür geeignet ist, eine bereits skizzierte Vision oder Strategie in eine Organisation hineinzutragen.

  • Teilnehmer: Die Teilnehmerzahl ist abhängig von der Größe der Organisation. Ziel ist es, so viele Betroffene wie möglich einzubeziehen. Der Ablauf kann mit 50 Teilnehmern stattfinden, aber auch mit einigen Hundert ...

  • Dauer / Zeitbedarf: Eine RTSC-Konferenz dauert 1 – 3 Tage.

  • Ablauf: Ausgangspunkt einer RTSC-Veranstaltung ist es, bei den Teilnehmern Betroffenheit zu erzeugen, sie „aufzurütteln“. Die Teilnehmer sollen begreifen, dass das Thema etwas mit ihnen zu tun hat. Etwa, dass ihre Mitarbeit erforderlich ist, um eine anstehende Fusion zu meistern, die Firma oder den Standort zu sichern oder die Qualität der Zusammenarbeit zu erhöhen ... Es geht darum, bei den Betroffenen Motivation zu schaffen, sich auf das Thema einzulassen. Dies kann auf unterschiedlichste Weise durch das Management und / oder externe Dritte (etwa wichtige Kunden) geschehen.

    Im weiteren Verlauf werden die im Vorfeld (z.B. in moderierten Management-Klausuren) erarbeiteten Vorstellungen der Geschäftsleitung präsentiert. Danach erarbeiten die Teilnehmer in Kleingruppen ihre Ideen und Wünsche dazu und präsentieren diese dem Plenum. Die Vorstellungen der Teilnehmer werden dann (z.B. über Nacht) in die Erstversion eingearbeitet.

    Es folgt die Präsentation der neuen Version, die die Vorstellungen der Teilnehmer berücksichtigt, so dass der nun vorliegende Vorschlag ein gemeinsamer ist.

    Im letzten Arbeitsschritt geht es dann – wie bei Moderationen meist – darum, Maßnahmen zu erarbeiten, die den Betroffenen geeignet erscheinen, die gemeinsamen Ziele (die Vision, die Optimierungsziele ...) zu erreichen.

  • Besonderheit/-en: Die Teilnehmer sitzen an 8er-Tischen ggf. zunächst in gemischten und später (etwa zur Maßnahmenplanung) in homogenen Gruppen („Organisationsfamilien“) zusammen. Angestrebt ist die Identifikation der Teilnehmer mit dem geplanten Wandel.


Offene Runden / Open Space

  • Sinn & Zweck: Open Space steht für „Offener Raum” und meint, dass es – im Rahmen eines Generalthemas – völlig offen ist, was von der Gruppe, die sich zu diesem Thema trifft, bearbeitet wird. In der Regel geht es um Optimierungsthemen.

  • Teilnehmer: Eine Open-Space-Veranstaltung kann mit einer Workshop-Gruppengröße von ca. 5 Teilnehmern stattfinden, aber auch mit bis zu 1000 Teilnehmern.

  • Dauer / Zeitbedarf: Eine Open-Space-Veranstaltung dauert in der Regel 1 bis 2,5 Tage.

  • Ablauf: Die Teilnehmer sitzen bei Open Space in einem (riesigen) Stuhlkreis; bei sehr großen Gruppen in mehreren Reihen hintereinander. In der Mitte des Kreises befinden sich Karten und Stifte und ggf. ein Mikrofon. Nach Eröffnung der Veranstaltung werden die Themen gesammelt, die aus Sicht der Gruppe bearbeitet werden sollen.Dazu kann jeder aufstehen, in die Mitte des Kreises gehen und ein Thema auf eine Karte schreiben, das er zur Bearbeitung vorschlägt. Das Thema / Anliegen des Schreibers wird von diesem dann kurz erläutert. Damit übernimmt er die „Patenschaft“ für dieses Thema. Sind die Themen gesammelt, ordnen sich diejenigen, die kein Thema benannt haben, am „Marktplatz“ zur Weiterarbeit frei den vorgeschlagenen Themen und damit entsprechenden Kleingruppen zu. Die Themen werden dann in parallel laufenden Mini-Workshops à 2 Stunden bearbeitet. Die Teilnehmerzahl in den Arbeitsgruppen ist beliebig. Die Gruppen berichten am Abend im Plenum in den „Abendnachrichten“ aus ihren Gruppen. Anschließend werden die Berichte aus den Kleingruppen in bereitstehende PCs eingegeben, ausgedruckt und vervielfältigt. Am Morgen kann dann jeder Teilnehmer die „Morgennachrichten“ lesen. Als letzter inhaltlicher Schritt werden die Themen ausgewählt, die über die Konferenz hinaus weiterverfolgt werden sollen, und entsprechende „Projektgruppen“ gebildet.

  • Besonderheit/-en: Die Regeln für die Zusammenarbeit sind konsequent auf Eigenverantwortung ausgerichtet. Die Teilnahme ist freiwillig! Die Gruppe organisiert sich so weit wie möglich eigenverantwortlich.


Die Moral von der Geschicht´

Letztlich geht es auch bei Großformen der Moderation – wie bei Moderation im Businessbereich (fast) immer – darum, Maßnahmen zu generieren, die den Beteiligten geeignet erscheinen, Visionen näher zu kommen, Ziele zu erreichen und / oder Schwächen oder Missstände abzubauen. Wichtig ist dabei, dass man sich nicht der Illusion hingibt, man könne eine Großveranstaltung immer nach demselben Strickmuster durchführen. Großgruppenarbeit ist – noch mehr als Workshoparbeit ohnehin – „maßgeschneidert“.

Ausgehend von der aktuellen Problem- oder Aufgabenstellung und der davon abgeleiteten Zielsetzung ist für jede Aufgabe individuell ein geeignetes Veranstaltungsdesign zu entwerfen. Freilich muss man nicht stets das Rad neu erfinden und kann sich die Arbeit erleichtern, indem man Anleihen bei „Standard- / Beispielabläufen“ nimmt.

Als Meta- oder Rahmenstruktur zur Planung auch von Großgruppen- Veranstaltungen bietet sich der MODERATIOnsZYKLUS© an (vgl. MODERATIO®-Notiz 1)

Zur Feinplanung sind dann „tausend Fragen“ zu beantworten, die man am besten mit einem kleinen Projektteam in einer moderierten Sitzung sammelt und beantwortet. Hier müssen Dimensionen in den Blick geraten wie:

  • Anlass: Wieso findet die Veranstaltung statt? Weshalb wird dieser Aufwand betrieben? ... und wieso gerade jetzt? Was war ursächlich für diese Entscheidung? ... und wer hat sie getroffen? 

  • Ziel: Was soll mit dieser Zusammenkunft erreicht werden? ... und wieso gerade das?

  • Teilnehmer: Wer soll, wer muss dabei sein? ... um das gesteckte Ziel zu erreichen? Was sollen / müssen die Teilnehmer vorab wissen? Was sollten sie vorab (möglichst) nicht erfahren?

  • Moderation: Wer moderiert die Veranstaltung? ... mit wem gemeinsam? Wer kann als „HiWi“ dabei sein? Haben die Teilnehmer Moderationserfahrung?

  • Ort: Wo findet die Veranstaltung sinnvollerweise statt? Anfahrt? Ort mit symbolischem Wert? Wie sind die räumlichen Gegebenheiten / Möglichkeiten?

  • Zeitpunkt: Wann ist der richtige Zeitpunkt? Wann kann / soll / muss es stattfinden? ... oder stattgefunden haben?

  • Dauer: Welche Dauer ist der Zielsetzung angemessen? Was ist realisierbar?

  • Ablauf: Wie soll das Ganze ablaufen? Wer muss wann „auftreten“? Was wird von den Teilnehmern erwartet? Was sollen diese wann tun? ... und wie soll das erreicht werden? Zur Beantwortung dieser Fragen kann man Anleihen bei den vorgestellten Ansätzen nehmen. Sie können hier gut als „Impuls- und Ideengeber“ genutzt werden.

  • Technik: Welche Technik wird benötigt? Was ist vor Ort verfügbar? Wann und in welcher Form kann ein Technik- Check stattfinden?

  • Protokoll: Wie wird der Prozess protokolliert? Wie die Ergebnisse? Wer erstellt das Protokoll und wer verteilt es? ... in welcher Form?

Entscheidend

... ist aber, was danach kommt. Ein „Big Bang“ alleine bringt keinen (schnellen) Wandel. Soll eine Großgruppen- Konferenz nicht zum Strohfeuer verkommen, ist das alles Entscheidende das, was danach kommt: Die Versprechen aus der Veranstaltung müssen eingehalten werden, die Vorhaben weiterverfolgt, (Zwischen-)Ergebnisse kommuniziert und „vermarktet", neue Standards erreicht werden ...

Herzlichst, Ihr
Josef W. Seifert


© MODERATIO 2014  

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